Bildung, Bildung, Bildung

 
 

Was ich vor einem Jahr hier in meiner satirischen Jahresvorschau für den November 2016 angemerkt hatte, trat tatsächlich ein: Donald Trump wurde zum US-Präsidenten gewählt; ein Sieg der Dummen?


Ich meine: Ein Sieg derer, die sich irgendwie in die Enge getrieben fühlen, sei es durch Zuwanderung, sei es durch geänderte wirtschaftliche Verhältnisse. Trumps Wahl ist nur ein weiterer Ausdruck dafür, dass der schnelle Fortschritt in unserer Welt, die zunehmende Verbindung von allem mit allem, die Mehrzahl der Menschen überfordert. Ein weiterer Ausdruck neben dem Brexit, neben der breiten Ablehnung von TTIP, der Zunahme des Einflusses populistischer Politiker in vielen Staaten. Viele Menschen wünschen sich offenbar ein Schwert, das einen gefühlten Gordischen Knoten von einem Netz durchschlägt, in dem sie sich gefangen sehen. Auf legalem Wege bleibt da nur die politische Protestwahl, und den Populisten gelingt es durch einfache – wenn auch realistisch nicht belastbare – Parolen am besten, Leute, die sowieso schon genervt sind und sich nicht lange in Einzelheiten einarbeiten wollen oder können, zu überzeugen.


Das Problem: Früher mag solch ein Schwert teilweise verkrustete politische Strukturen aufgebrochen haben, und so zu einem – ggf. nach vielen Opfern – besseren Leben geführt haben. Heute wirken brachiale Politmethoden gegenteilig nur in der Richtung, dass eine weitere Entfaltung der persönlichen Möglichkeiten eingeschränkt oder verhindert wird.


Der Weg aus dem Dilemma sollte also nicht in politischen Dampfhammer-Methoden liegen. Es wird etwas dauern, aber die Menschen werden merken: Trump kann auch keine veralteten Stahl- und Kohleregionen mit eben jenen alten Techniken revitalisieren. Es hilft nur eine solide Grundbildung, kontinuierliche Weiterbildung – und für diejenigen, die dies nicht schaffen, eine akzeptable Grundsicherung, eventuell auch durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, für das ja mittlerweile sogar der Vorstandsvorsitzende von Siemens, Joe ­Kaeser, eintritt.


Die Anforderungen für wirtschaftlich erfolgreiches Leben werden nämlich immer höher, sodass auch Menschen in einen Abwärtstrend kommen könnten, die sich jetzt noch sicher fühlen. Wie der Bericht über die Chemieforschung ab Seite 532 zeigt, werden die weltweiten Investitionen in die Forschung dieser Industrie bis 2030 laut einer Studie von 104 auf 143 Milliarden Euro steigen – jedoch wohl ohne zusätzliche Mitarbeiter. Auch der kleine Artikel auf Seite 535 „Das Ende der Biotechnologie wie man sie kennt“ macht dies deutlich. Die Lehre aus Brexit, Trump-Gewinn et al.: Globale Handlungsmöglichkeiten und liberale Demokratie gibt es auf Dauer nur, wenn sie den Menschen vorteilhaft erscheinen und Perspektiven aufzeigen. Das gelingt jedoch allein dadurch, dass diese bereit sind, Bildungsangebote anzunehmen – die natürlich zunächst einmal bereitgestellt werden müssen. Der langjährige Focus-Chefredakteur und jetzige Mitherausgeber Helmut Markwort wurde durch seine Forderung „Fakten, Fakten, Fakten“ bekannt. Das ist aus meiner Sicht nicht genug, ich sage „Bildung, Bildung, Bildung“. Die kann sich durchaus auch außerhalb von Schule oder Universität darstellen. Aktuell wird dabei oft auf Noch-Europaparlaments-Präsident Martin Schulz aufmerksam gemacht, mit dessen Lebenslauf ohne Voll-Abitur und Studium. Auch Schulen und Universitäten müssen ihr Bildungsangebot nachhaltig  ändern, weg von der reinen Faktenvermittlung.


Wie dies beispielhaft geschehen kann, zeigt in dieser CLB wieder einmal Prof. Volker Wiskamp mit einer Projektarbeit sowie der Beschreibung, wie sich ein Mini-NMR-Gerät für das Organische Grundpraktikum einsetzen lässt.


Möglichkeiten und Grenzen von Algorithmen als Entscheidungshilfen bei Störfällen stellt Prof. Peter Bützer im dritten Teil seiner Störfallmanagement-Betrachtungen vor. Dabei geht er auch auf den Einsatz künstlicher Intelligenz ein, ein Thema, das uns sicher zunehmend beschäftigen wird.


Grundlage für die Chemie ist auch die Quantenphysik. Da sich hier leicht Mythen bilden – man denke etwa an Quantenheilung etc. – habe ich in dieser CLB dem Physiker Dr. Martin Bäker Platz für einen Artikel eingeräumt, der auf verständliche Weise einige gängige Phrasen dazu ins rechte Licht rückt. Vielleicht sind Gedanken über diesen Artikel ja auch Anlass, philosophische Gespräche in der ruhigeren Zeit am Ende des Jahres zu führen.


Reale Chancen wie auch Risiken in Chemie und Biologie beschreibt wie gewohnt praxisorientiert unser Stammautor Prof. Wolfgang Hasenpusch, diesmal mit dem aktuellen Wirtschafts- und Logistik-Thema „Chemikalien-Leasing“ sowie der Beschreibung von Inhaltsstoffen und Gefahren durch Jakobs-Kreuzkraut.


Nach der eingetroffenen Vorhersage über die Trump-Wahl habe ich mir zweimal überlegt, wieder eine satirische Jahresvorausschau zu gestalten. Aber sicherlich kann man der einen oder anderen Entwicklung aber auch einige erheiternde Aspekte abgewinnen – oder in den Anmerkungen weitere Anhaltspunkte finden, sich Gedanken über die Entwicklung zu machen – um dann bei den nächsten Wahlen selbst Konsequenzen zu ziehen. 


Schließlich hier noch ein paar Anmerkungen zum Titelbild: Es ist diesmal losgelöst von einem Bezug zu Artikeln dieser Ausgabe, aber dafür nicht nur einfach bunt und schmückend: Es ist ein Autostereogramm. Der Effekt der Autostereogramme wurde vor über drei Jahrzehnten von einem Mitarbeiter der Bell-Laboratories, Bela Julesz, entdeckt. Sie fassen die Abbildungen für linkes und rechtes Auge in einem einzigen Bild zusammen. In den 1990er Jahren hatten sie unter dem Namen „Magic Eye“ ihre Hochphase. Es gab etliche Bücher mit solchen Abbildungen, und vor großen Werbetafeln mit Autostereogrammen versammelten sich oft viele Menschen, um das dreidimensionale Objekt zu erkennen, das sich in der vordergründigen Abbildung durch einen relativ einfachen Algorithmus zunächst verbirgt. Man muss seine Augen auf unendlich stellen, um dem Gehirn die Möglichkeit zu geben, die Abbildung hin auf dreidimensionale Kennzeichen zu entschlüsseln. Ich finde derartige Abbildungen nach wie vor attraktiv und denke, dass sie gelegentlich eingesetzt werden können.

Bei der Suche nach geeigneten Objekten kommt man aber auch an die Grenzen der Technik. Zunächst gab es die Idee,  ein 3D-Modell des Zitronensäure-Moleküls in ein Autostereogramm umwandeln (in Anlehnung an das Titelbild von CLB 7/8-2016). Es erwies sich aber als zu schwierig für eine leichte Erkennung, ebenso wie das Modell eines Fullerens. Passend zu dem Thema Störfallmanagement ließ sich dann das Symbol für Biogefährdung einsetzen. Aufgrund des Hochformates und einer attraktiveren Farbgestaltung finden Sie jetzt aber einen Violinschlüssel versteckt in der vordergründigen Abbildung auf der Titelseite, der sich von dem CLB-Schriftzug bis zu den Themen unten zieht – passend zur Sangesfreude in der Weihnachtszeit ;-) Die alternative Titelseite mit dem Biogefahr-Symbol will ich Ihnen aber nicht vorenthalten. Sie steht auf der Umschlagseite 3.


Für 2017 wünsche ich Ihnen Erfolg, Glück und Gesundheit,


Ihr Rolf Kickuth